Israel, Gemeinde und die geistliche Auslegung der Schrift

Table of Contents

Die Bibel ist kein gewöhnliches Buch. Sie ist Gottes Wort, eingegeben durch den Heiligen Geist (2. Timotheus 3,16). Wer sie liest, soll nicht menschliche Deutungen hineintragen, sondern sich von der Schrift selbst leiten lassen.

„Dabei sollt ihr vor allem das erkennen, daß keine Weissagung der Schrift von eigenmächtiger Deutung ist. Denn niemals wurde eine Weissagung durch menschlichen Willen hervorgebracht, sondern vom Heiligen Geist getrieben haben die heiligen Menschen Gottes geredet.“

2. Petrus 1,20–21

Dieser Grundsatz ist entscheidend: Die Schrift legt sich selbst aus. Wer sie nur oberflächlich wörtlich liest und nach eigenem Verständnis deutet, verpasst die tieferen geistlichen Wahrheiten, die Gott durch Symbole und Bilder offenbart hat.

Paulus’ Sehnsucht für Israel

Im Römerbrief spricht Paulus mit großer Leidenschaft von seinem Volk, den Israeliten. Er ringt um sie und wünscht ihre Rettung. Zugleich zeigt er, dass nicht die Zugehörigkeit nach dem Fleisch entscheidet, sondern der Glaube.

„Brüder, der Wunsch meines Herzens und mein Flehen zu Gott für Israel ist, daß sie gerettet werden.“

Römer 10,1

Schon in Römer 9 betont er, dass das wahre Israel nicht durch Abstammung, sondern durch Verheißung bestimmt ist.

„Nicht aber, daß das Wort Gottes nun hinfällig wäre! Denn nicht alle, die von Israel abstammen, sind Israel; auch sind nicht alle, weil sie Abrahams Same sind, Kinder, sondern »in Isaak soll dir ein Same berufen werden«. Das heißt: Nicht die Kinder des Fleisches sind Kinder Gottes, sondern die Kinder der Verheißung werden als Same gerechnet.“

Römer 9,6–8

Das wahre Israel ist also nicht identisch mit dem ethnischen Volk, sondern besteht aus denen, die aus Glauben leben.

Das wahre Judentum

Paulus beschreibt das Wesen eines Juden nicht äußerlich, sondern innerlich: Es geht um die Beschneidung des Herzens, um Gottes Werk im Menschen. Diese innere Beschneidung geschieht in Christus.

„Denn nicht der ist ein Jude, der es äußerlich ist; auch ist nicht das die Beschneidung, die äußerlich am Fleisch geschieht; sondern der ist ein Jude, der es innerlich ist, und [seine] Beschneidung [geschieht] am Herzen, im Geist, nicht dem Buchstaben nach. Seine Anerkennung kommt nicht von Menschen, sondern von Gott.“

Römer 2,28–29

„In ihm seid ihr auch beschnitten mit einer Beschneidung, die nicht von Menschenhand geschehen ist, durch das Ablegen des fleischlichen Leibes der Sünden, in der Beschneidung des Christus.“

Kolosser 2,11

Darum gilt: Wer Christus angehört, ist geistlich beschnitten und gehört zur Verheißung. Paulus fasst es programmatisch zusammen:

„so erkennt auch: Die aus Glauben sind, diese sind Abrahams Kinder.“

Galater 3,7

„Ganz Israel wird gerettet“

Besonders umstritten ist die Aussage in Römer 11: „Und so wird ganz Israel gerettet werden.“ Manche verstehen dies als kollektive, endzeitliche Rettung des ethnischen Israels. Doch diese Lesart kollidiert mit Paulus’ vorausgehender Unterscheidung zwischen Israel nach dem Fleisch und Israel nach der Verheißung.

Im Bild des Ölbaums (Römer 11,17–24) macht Paulus deutlich: Ungläubige Juden werden wie natürliche Zweige ausgebrochen; gläubige Heiden werden wie wilde Zweige eingepfropft. Der eine Baum bleibt jedoch derselbe – das wahre, durch den Glauben definierte Gottesvolk. „Ganz Israel“ bezeichnet somit die Vollzahl der Glaubenden, Juden wie Heiden, die in Christus vereint sind.

„Denn Gott hat alle miteinander in den Unglauben verschlossen, damit er sich über alle erbarme.“

Römer 11,32

Symbole und geistliche Deutung

Die Heilige Schrift spricht häufig in Bildern, Gleichnissen und prophetischen Symbolen. Diese Bildsprache erklärt sich nicht durch menschliche Fantasie, sondern durch die Schrift selbst. Wo Gott ein Symbol gebraucht, liefert das Wort an anderer Stelle oft die Auslegung.

So stehen „Wasser“ oder „Meer“ bildhaft für Völker und Nationen. Der Engel erklärt Johannes ausdrücklich: „Und er sprach zu mir: Die Wasser, die du gesehen hast, wo die Hure sitzt, sind Völker und Scharen und Nationen und Sprachen.“ (Offenbarung 17,15). Eine „Hure“ beschreibt biblisch eine untreue, abgefallene Gemeinschaft, die geistlichen Ehebruch begeht (vgl. Hesekiel 16; Offenbarung 17). Die „Jungfrau“ ist ein Bild für die reine, Christus treu ergebene Gemeinde: „Denn ich eifere um euch mit göttlichem Eifer; denn ich habe euch einem Mann verlobt, um euch als eine keusche Jungfrau Christus zuzuführen.“ (2. Korinther 11,2; vgl. Offenbarung 14,4).

Ebenso werden „Tiere“ in der Prophetie als Reiche oder politische Systeme gedeutet: „Jene großen Tiere, vier an der Zahl, bedeuten, daß vier Könige sich aus der Erde erheben werden;“ (Daniel 7,17). Und ein „Gräuel“ bezeichnet Götzendienst oder entweihende Verirrung (vgl. Daniel 11,31; Matthäus 24,15). Diese Deutungen sind nicht willkürlich, sondern werden durch den biblischen Zusammenhang gestützt.

Geistliches Verständnis statt fleischlicher Lesart

Jesus selbst zeigte seinen Jüngern, wie die Schrift verstanden werden will: „Und er begann bei Mose und bei allen Propheten und legte ihnen in allen Schriften aus, was sich auf ihn bezieht.“ (Lukas 24,27). Die ganze Bibel weist auf Christus hin. Wer die Schrift im Licht seines Erlösungswerks liest, entdeckt den geistlichen Sinn hinter den Worten.

„Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist; denn es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt werden muß.“

1. Korinther 2,14

Darum genügt es nicht, nur am Buchstaben haften zu bleiben. Der Heilige Geist öffnet die Augen, damit wir erfassen, was Gott meint. Schrift mit Schrift zu vergleichen ist der Weg, der uns vor Einbildung schützt und in die Wahrheit führt.

Die Gemeinde als das wahre Israel

Wenn Paulus von Israel spricht, geht es in seiner Heilssicht um das eine Volk Gottes, das in Christus zusammengeführt ist. Jesus hat die trennende Wand zwischen Juden und Heiden abgebrochen.

„Denn Er ist unser Friede, der aus beiden eins gemacht und die Scheidewand des Zaunes abgebrochen hat.“

Epheser 2,14

Die Verheißungen an Israel finden ihre Erfüllung in Christus und damit in seiner Gemeinde. Paulus spricht vom „Israel Gottes“ (Galater 6,16) und erklärt: Wer Christus angehört, ist „Abrahams Same und nach der Verheißung Erbe“ (Galater 3,29). So wird deutlich: Die Gemeinde, bestehend aus Juden und Heiden, ist das wahre, geistliche Israel, das Gott sich in Christus geschaffen hat.

Schlussgedanke

Paulus’ Herzenswunsch bleibt die Rettung Israels. Doch die Schrift macht unmissverständlich klar: Es ist nicht das Israel nach dem Fleisch, sondern das Israel nach dem Geist. Die wahre Identität eines Juden ist nicht äußere Abstammung, sondern die Beschneidung des Herzens durch Christus. Darum ist die Gemeinde, zusammengerufen aus allen Nationen, das wahre Israel Gottes. Wer sich vom Geist leiten lässt und Schrift mit Schrift auslegt, erkennt die innere Harmonie Gottes Wortes und sieht, wie Gott in allen Zeiten ein Volk nach seinem Herzen sammelt – ein geistliches Israel, das in Christus vollendet wird.

Schreibe einen Kommentar